Ist der Erfolg nicht gerechtfertigt? Vier Oscars für Im Westen nichts Neues

Wir müssen noch einmal reden. Und zwar über „Im Westen nichts Neues“. Eigentlich haben wir den Film ja schon ausgewertet, als er erschienen ist. Dabei ist er ziemlich gut weggekommen. Allerdings hat sich seitdem einiges getan. Edward Bergers Drama über den ersten Weltkrieg hat inzwischen nicht nur sieben „BAFTA Awards“ gewonnen – was für einen deutschen Film schon sehr beachtlich ist – sondern wurde auch für neun Oscars nominiert. Noch beachtlicher. Vier davon hat er nun gewonnen. Das hat noch kein deutscher Film vor ihm geschafft. Doch seit unserer letzten Folge regte sich auch neue Kritik an „Im Westen nichts Neues“. Und über die sprechen wir im Podcast, zusammen mit dem Historiker und Filmjournalisten Andreas Kötzing. Die Episode haben wir noch vor der Verleihung aufgezeichnet.

Was kann man am Film kritisieren?

Filmemacher:innen, die sich mit historischen Stoffen auseinandersetzen, werden häufig mit einer ganz bestimmten Frage konfrontiert: Wird die Geschichte im Film korrekt dargestellt? Damit ist oft gemeint, ob die Kostüme akkurat, die Technik adäquat oder die Kulissen authentisch sind. Immer mit Blick auf die tatsächlichen Begebenheiten jener Zeit. Auch solche Kritik gibt es an „Im Westen nichts Neues“. Aber selbst wenn man die Frage, ob es reicht, dass ein Geschichtsfilm nur plausibel statt realistisch ist, mit „ja“ beantwortet, kann man die Netflix-Produktion noch für andere Dinge kritisieren.

Ich habe vor allem ein großes Problem mit der Ästhetisierung des Krieges. Zum einen ist da dieses Pseudo-Realistische, das uns als Zuschauer das Gefühl vermitteln soll, wir sind ganz unmittelbar und hautnah am Kriegsgeschehen beteiligt. Das ist immer eine Illusion, das sollten wir uns bewusst machen. Das ist eine Form von Ästhetisierung, die konsumierbar macht. […] Wird hier ein Krieg instrumentalisiert, um großes, bombastisches Unterhaltungskino zu machen?“ – Andreas Kötzing

Zum anderen wird dem Film vorgeworfen, sich zu weit von seiner Romanvorlage, dem gleichnamigen Weltbestseller von Erich Maria Remarque, zu entfernen. Laut Andreas Kötzing werde die Erzählung gewissermaßen „verdeutscht“ und verliere dadurch ihre Universalität. Aus einer universellen Geschichte werde bei Berger fast ein „nationales Drama“.

Warum immer wieder historische Stoffe?

Insgesamt scheint es in Deutschland Standard zu sein, dass erfolgreiche Filme historische Geschichte erzählen müssen – mindestens aber einen historischen Hintergrund haben sollten. Das lässt sich schon an den drei deutschen Oscar-Gewinnerfilmen (zumindest bis jetzt) erkennen: „Die Blechtrommel“ (1979) von Volker Schlöndorf, „Nirgendwo in Afrika“ (2001) von Caroline Link und „Das Leben der Anderen“ (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck. Alle drei thematisieren einen anderen Ausschnitt aus der deutschen Geschichte.

Das Bedürfnis, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen ist nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege und nach der deutschen Teilung natürlich in Deutschland stärker ausgeprägt, als vielleicht in Frankreich oder bei britischen Filmemachern. Wenn man sich dann anschaut, wie das historische Kino in den letzten 10-15 Jahren nochmal an Fahrt aufgenommen hat durch die ganzen DDR-Aufarbeitungsfilme, dann haben wir da einen gewissen thematischen Schwerpunkt. Und das hat sich offenbar auch im Ausland ein bisschen festgesetzt. – Andreas Kötzing

Man kann unterschiedlicher Meinung sein, wie gut oder schlecht die einzelnen Umsetzungen gelungen sind. Aber die Deutschen und Ihren Geschichtsfilme? Das scheint eine nicht enden wollende Liebesgeschichte zu sein. Fest steht für uns auf jeden Fall, dass „Schtonk“ (1992) von Helmut Dietl und „Gundermann“ (2018) von Andreas Dresen zu den besseren Vertretern aus dem deutschen Historienfilm-Regal sind.

Ist die Zeit des (deutschen) Kinos vorbei?

Was macht „Im Westen nichts Neues“ eigentlich so besonders, wenn es um die Frage nach der Finanzierung geht? Genau. Der Film ist von Netflix produziert worden. Keine gigantische Filmförderung von Bund und/oder Ländern notwendig. Genauso wenig notwendig: ein Kino.

Die Zeiten, in denen die Leute in Scharen in die Kinos gegangen sind, die sind vorbei. Auch als cinephiler Mensch darf man sich da nichts vormachen. – Andreas Kötzing

Es beschleicht einen das Gefühl, dass sich auch bei der Distribution, der Verbreitung von Filmen gerade grundsätzlich etwas verändert.

Bei ‚Im Westen nichts Neues‘ hat man auch gemerkt, wie viel Geld Netflix in eine Werbekampagne gesteckt hat, um einen Film öffentlich zu pushen, dass er auch in die entsprechenden Kanäle kommt.

Aber das ist ein Thema, das wir in dieser Folge höchstens anreißen wollen. „Im Westen nichts Neues“ bietet schon genug Gesprächsstoff für eine zweite Folge.

Shownotes

https://www.mdr.de/geschichte/weitere-epochen/erster-weltkrieg/netflix-im-westen-nichts-neues-film-rezension-historisch-wenig-authentisch-100.html

https://www.berlinale.de/de/2023/programm/202306650.html

https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/feb/27/germans-all-quiet-on-the-western-front-novel-film?CMP=share_btn_tw

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